Bunte Poesie (1982)
Galerie Europäische Akademie Berlin Grunewald
…Oberflächlich betrachtet ist das Naive in den Gemälden von Ulrich Pietzsch leicht zu bestimmen: keine ausgefeilten Skizzen eines minutiös detaillierten Körpers, keine exakt stimmigen Perspektiven, keine symbolschwangeren und intellektuell durchreflektierten Motive, vielmehr Szenen, die im wahrsten Sinne aus dem Leben gegriffen sind: Farben, die freundlich aufheitern, Details, die unweigerlich schmunzeln machen; Porträts, die weniger durch exakte Darstellung als durch Unmittelbarkeit überzeugen. Und alles durchdrungen von einer grenzelosen Heiterkeit…
Es ist die Faszination dieses Naiven, die mich berührt beim Betrachten der Bilder, die Unmittelbarkeit, die Wärme, der Witz des Überraschenden. Jedesmal werde ich in eine neue Atmosphäre versetzt, erlebe die Jahreszeiten der Mark, die flache kaum hügelige Landschaft, die einfachen Häuser und häufig wiederkehrenden Kirchen.
Meist ist der ruhende Pol eines Gemäldes ein Gebäude, ein Bahnhof, das Rathaus. Doch entscheidend ist das Leben, das sich drumherum abspielt: die Schneeballschlacht der Jungen, die Trachtenkapelle vor dem Bernauer Steintor, das Liebespaar an der Mauer der alten Schmiede von Wandlitz, das Picknick vor dem Schloss in Wensinckendorf. Was nur beiläufig als bunte Verzierung festgehalten zu sein scheint, die einfach gezeichneten „Männiken“, die streunende Katze, der abbröckelnde Verputz, das an die Wand gelehnte Fahrrad, das sind Momente, die die Bilder lebendig machen, die mich einladen, stehen zu bleiben, mich hineinzuversetzen in die verspielten Szenerien und zu lachen.
Denn die wenigsten Bilder hat der Schmerz motiviert. Die Landschaftsbilder aus der Mark sind vielmehr von sorgloser Ausgelassenheit. Mit ihnen hat Ulrich Pietzsch für uns eine Gegend erweckt, die eigentlich nah, doch so schwer zugänglich ist. Darin sieht er seine Aufgabe, nachdem er von der DDR übergesiedelt ist…
Johannes Dieterich
„Berliner Sonntagsblatt“ vom 12. Dezember 1982